Broschüre 50 Jahre Martin-Luther-King-Haus und Chronik Spreewitz (I - IV) u.v.a.m. sind im Kirchenbüro erhältlich.
Die Visionen des amerikanischen Bürgerrechtlers Dr. Martin Luther King von einer gerechten Gesellschaft waren weltweit bekannt. Niemand soll aufgrund der Hautfarbe, der Herkunft oder Religion benachteiligt werden. M.L.King's Vertrauen zu Gott, der in den Schwachen mächtig ist, und sein konsequenter Weg der Gewaltlosigkeit beim Erreichen politischer Ziele faszinierte auch Christen in Hoyerswerda. Am 4.April 1968 wurde der Friedensnobelpreisträger ermordet. Die Kirchengemeinde wandte sich an die Witwe mit der Bitte, ob das Gemeindezentrum nach ihrem Mann benannt werden kann. Seit 1969 trägt es nun diesen Namen.
Das Leben und Handeln von M.L.King war in der Vergangenheit oft Orientierung für den Weg der Kirchengemeinde. Wir erinnern uns an seinem Beispiel, wie eine intensive Beziehung zu Gott Menschen eine Kraft schenkt, die 'Berge versetzen kann'. Eine Kraft, die durch Gebet und Tätigwerden eine Gesellschaft menschlicher werden läßt.
Dieses Bemühen beschränke sich aber nicht nur auf die Stadt oder das eigene Land. Ein Meditationstuch aus Bolivien erinnert in der Passions- und in der Adventszeit im Foyer an den globalen Zusammenhang von Armut und Reichtum. Und: "Viele kleine Leute an vielen kleinen Orten, die viele kleine Schritte tun, können das Gesicht der Welt verändern." So heißt es in einem Lied. Diese "kleine Schritte für jedermann" ermöglicht der Eine-Welt-Laden im Martin-Luther-King-Haus. Seit 1999 können sich die Gottesdienstbesucher und alle Gäste erfreuen an der neuen Orgel. Als die Evangelische Kapelle im nahen Knappenrode wegen Baufälligkeit vor dem Abriss stand, konnte deren Orgel (erbaut von der Firma Eule 1946) erworben, entsprechend umgebaut und erweitert werden. Diese Arbeiten wurden von der Firma Walde (ehemals Schuster) aus Zittau durchgeführt. Das ‚Design’ des Gehäuses entwarf Herr Uwe Hempel aus Dresden, der als Metallgestalter schon für das Inventar des Kirchsaales (Altar, Kreuz, Taufstein, Pult, Abendmahlsgeschirr, Leuchter) verantwortlich war. Das Konzert zur Einweihung der Orgel am 8.Oktober 1999 ist allen Hörern in bester Erinnerung: Es spielte Matthias Eisenberg.
Zwölf Jahre nach der Wende konnte endlich auch der Grund & Boden erworben werden, auf dem das Gemeindezentrum steht. Für einige Gemeindeglieder bleibt noch ein Wunsch – ein Glockenturm ...
Pfarrer Jörg Michel (aus dem aktuellen Faltblatt der Kirchengemeinde)
Das Gemeindezentrum der Evangelischen Kirchengemeinde
Hoyerswerda-Neustadt liegt im Zentrum der Neustadt, an der
Dietrich-Bonhoeffer-Straße zwischen der Schwarzen Elster
und dem Lausitz-Center.
Die ehemalige städtische Friedhofskapelle (1902) wurde
nach Auflassung des alten Friedhofs nicht mehr benötigt
und konnte 1968 als Umbau für die noch junge, eigenständige Kirchengemeinde eingeweiht werden.
Der alte Friedhof wurde zu einem Park gestaltet und als Standort für ein Bildhauer-Symposion auserwählt. Für die Bewohner der angrenzenden Hochhäuser ist dieses Ensemble neben dem vielen Beton ein wichtiges Kleinod geworden.
An der Rückseite des King-Hauses befindet sich ein Rondell mit Sitzgelegenheit inmitten einer sehr schönen Bepflanzung. Dieses stadtoffene Terrain wird besonders von Jugendlichen als Treff genutzt.
Der Neubau (Einweihung 1989) fügt sich sehr harmonisch an die alte Kapelle und ist eine bekannte Silhouette in der Stadt.
Im Sommer ist dies die "Schokoladen-Seite" des Hauses aufgrund der Blumen und dem
freien Blick in Richtung Lausitz-Center. Das Kreuz auf dem Turm und die Schieferschindeln spiegeln das Sonnenlicht.
Dieser große Schaukasten wird monatlich thematisch gestaltet. Auch andere kirchliche Gruppen oder Institutionen nutzen ihn zur Darstellung (Diakonie und Gymnasium). Nach der Umgestaltung der Fußgängerzone wird er gewiss noch mehr ein wichtiger ‚Blickfang’ sein.
Dies ist der Haupteingang.
Er verbindet Alt- & Neubau.
Die Plakate an den großen Glasscheiben im Eingangsbereich weisen oft auf besondere Veranstaltungen hin – von Kirche & Stadt.
Die Plastik im Eingangsbereich stellt ein Schiff dar.
Dem Betrachter bleiben viele Deutungen.
Eine mögliche ist: Gemeinde ist immer unterwegs mit Auf und Ab. Da kommt es auf den rechten Steuermann an > Jesus Christus.
„Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt, fährt durch das Meer der Zeit.. Das Ziel, das ihm die Richtung weist, heißt Gottes Ewigkeit. Das Schiff, es fährt vom Sturm bedroht, durch Angst, Not und Gefahr, Verzweiflung, Hoffnung, Kampf und Sieg, so fährt es Jahr für Jahr. Und immer wieder fragt man sich: Wird denn das Schiff bestehn? Erreicht es wohl das große Ziel? Wird es nicht untergehn?Bleibe bei uns, Herr! Bleibe bei uns Herr, denn sonst sind wir allein auf der Fahrt durch das Meer. O bleibe bei uns Herr!"
Im Foyer und im Kirchsaal sind die Fenster gestaltet worden
von der Künstlerin Marion Hempel aus Dresden.
Ein immer wiederkehrendes Motiv ist das Kreuz.
Durch das schräge Dach hat der ganze Kirchsaal
eine Hinführung – zum Altar, zum Kreuz..
Die Bestuhlung lässt eine vielfältige Nutzung zu (Seniorennachtmittage, Konzerte, Theater u.ä.).
In der Adventszeit leuchtet vor dem Kreuz
ein Herrnhuter Adventsstern.
Das Durchbrochene soll Transparenz ermöglichen:
Das Wort Gottes soll die Menschen verständlich erreichen.
Und die Verkündiger bleiben „nackt & bloß“.
Auch dieses Abendmahlsgeschirr wurde
von Herrn Hempel gestaltet und lebt von den aufgenommenen Formen und der Symbolik.
Ein Unikat, passend für diesen Kirchsaal,
für diese Gemeinde.
Die Altarbibel ist ein Geschenk der Partnergemeinde
aus Bad Kreuznach zur Einweihung des Neubaus 1989.
Dies ist der Christenlehreraum, wo sich
die Kinder treffen zu ihrenNachmittagen
oder zum Kindergottesdienst.
Und nun ganz hinunter in den Kinderkeller.
Hier treffen sich die Kinder und Eltern zum Vater-Mutter-Kind-Kreis, zum Vorschulkreis o. ähnliches.
Dieses Wandbild zeigt einen „Vier-Jahreszeiten“-Baum.
Dieser Blick ist nicht jedem vergönnt:
Das Gebälk des kleinen Turmes, der allerdings nie eine Glocke besaß (bzw. nicht besitzen durfte).
Seit 1999 kann sich die Gemeinde an ihrer neuen Orgel erfreuen. Die Orgelbaufirma Welde aus Zittau (ehemals FA Schuster)
konnte als Grundsubstanz die alte Orgel (FA Eule, 1946)
aus der aufgegeben Kapelle in Knappenrode übernehmen
und entsprechend modernisieren.
Für das Design, mit dem sich die Orgel harmonisch in das künstlerische Ensemble des Kirchsaals einfügt, war wieder
Herr Hempel aus Dresden verantwortlich.
Otto Freyer, Pfarrer:
Am 8.Oktober 1989 wurde das erweiterte Martin-Luther-King-Haus in Hoyerswerda eingeweiht. Am Tag zuvor hatte die DDR ihren vierzigsten und letzten Jahrestag begangen, nur wenig später kam es zur "Wende". Die Freude der evangelischen Christen in der Neustadt über ihr schönes neues Gemeindezentrum war verständlich. Denn bis dahin musste die Gemeinde in Provisorien leben. Das alte King-Haus war ihr nur zur
vorübergehenden Nutzung überlassen worden. Eine lange, schwierige Wegstrecke musste bewältigt werden, bis der Traum von einer eigenen Kirche in Erfüllung gehen konnte. 30 Jahre waren inzwischen vergangen, seit sich die ersten Gemeindeglieder der Neustadt zusammengefunden hatten.
Was hier über die Anfangsjahre der Gemeinde zu berichten ist, unterscheidet sich kaum von der Situation in anderen Neustädten der DDR. Überall, wo neue Industrieschwerpunkte entstanden, strömten Menschen in großer Zahl in die neu eingerichteten Wohnstädte. Sehr bald stellte sich heraus, dass der Anteil der Kirchenmitglieder unter den Zugezogenen weitaus geringer war als sonst irgendwo in der damaligen DDR. In Hoyerswerda ergab sich das schon bei einem ersten Besuchsdienst in den Neubauten am Rande der Altstadt, der von der Goßner Mission im Jahre 1958 durchgeführt wurde. Damals bereits plante die Kirchengemeinde den Bau eines Gemeindehauses in der Nähe der späteren Scholz-Halle. Grundstück und finanzielle Mittel standen bereit. Eine Baugenehmigung wurde jedoch nicht erteilt. Die Gründe dafür lagen klar auf der Hand. Denn gerade damals wurde der Aufbau Hoyerswerdas zur 2. sozialistischen Stadt propagiert. Der Gedanke war nicht abwegig, dass bei der Namensgebung sozialistischer Städte auf Stalinstadt bald Leninstadt folgen könnte. Jedenfalls musste jedem klar sein, dass diese Art Städte nicht gerade für Christen gebaut wurden.
Im Frühjahr 1959 traten die Fronten deutlich zutage. Das wiederaufgebaute Pfarrhaus in der Altstadt wurde vom Rat der Stadt zum Wohnhaus deklariert. Ohne Zuweisung beziehungsweise Tauschwohnung sollte niemand in das Haus ziehen. Nach schwierigen Verhandlungen konnte die Gemeinde einen Teil des Hauses in Nutzung nehmen. Die dritte Pfarrwohnung jedoch wurden nicht freigegeben, obwohl der Einsatz eines weiteren Mitarbeiters in der wachsenden Stadt dringend nötig war. Die Einsprüche der Gemeinde bis zum Bezirk blieben ohne Erfolg. Da entschloss sich die Kirchenleitung, die Anordnung der Behörden zu ignorieren und den neu berufenen Pfarrer in seine Dienstwohnung einzuweisen. Die Sache endete mit der Zwangsräumung dieser Wohnung. Die Möbel landeten in der Kirche, und angesichts der Möbel fanden dort tägliche Bittandachten statt. Die Wohnung war mit einer fremden Familie belegt worden. So war eine absurde, explosive Situation entstanden, über die auch die Westpresse berichtete. Eines Tages schließlich wurden die Zwangsmaßnahmen rückgängig gemacht. Die Gemeinde bekam ihre Wohnung, und die staatlichen Organe versuchten, ein normales Verhältnis zur Kirche zu finden.
Zu dieser Zeit schien die Volkskirche äußerlich noch intakt. Besonders in den sorbischen Dörfern, die zur Gemeinde gehörten, hatte sie starken Rückenhalt.
Eine große Anzahl Menschen, darunter viele Jugendliche, füllten an den Feiertagen die beiden evangelischen Kirchen der Stadt. Kirchliche Traditionen wurden hochgehalten. Für die Jugendweihe konnten sich nur wenige erwärmen. Das sollte sich bald gründlich ändern.
Dabei spielte der Zuzug der vielen tausend Menschen eine wichtige Rolle. Die alten Hoyerswerdaer wurden durch die schnelle Entwicklung der Stadt und der Region verständlicherweise stark beunruhigt.Auch die Verantwortlichen der Kirche standen der neuen Situation ziemlich hilflos gegenüber. Wohl erhoffte man sich Zuwachs beim Gottesdienstbesuch und in den traditionellen Gemeindekreisen. Aber allzu groß waren die Erwartungen nicht. Viele guten Christen erblickten in ihren neuen Mitbürgern nur "Heiden" und redeten von einer "gottverlassenen" Neustadt.
Zum Glück gab es aber auch andere, die der Stadtentwicklung viel offener und positiver gegenüberstanden. Sie sahen die großen Aufgaben, die auf die Kirche zukamen, und waren bereit, in den neuen Wohnblocks interessierte Menschen aufzufinden und zu sammeln. Dabei wurde den Beteiligten klar: Die Gemeinde muss erst einmal aus ihrer Begrenztheit herausfinden, ihre festgefahrenen Strukturen ändern und sich öffnen. Nur dann kann sie für andere da sein, in diesem Fall für Menschen in der Neustadt, die in der neuen Umgebung ihre eigenen Lebensprobleme haben und auf Verständnis hoffen für ihre besondere Situation.
Wie erwartet, bildeten die Christen eine kleine Minderheit unter den Bewohnern der Neustadt. In den Anfangsjahren waren es vielleicht zehn Prozent der Bevölkerung, später noch weniger. Viele hatten ihre nur noch losen kirchlichen Bindungen am neuen Wohnort fallen gelassen. Dazu kamen die Sorgen um Beruf und Fortkommen. Faktisch waren alle im Kombinat Schwarze Pumpe und den anderen Großbetrieben Beschäftigten vom Staat abhängig. Der gesellschaftliche Druck, der auf den einzelnen ausgeübt wurde, war sehr stark, und die Partei forderte von all ihren Mitgliedern den Kirchenaustritt. Da schien es vernünftiger, sich den Gegebenheiten anzupassen und nicht als Angehörige der Kirche in Erscheinung zu treten.
Viele Familien fühlten sich ohnehin zunächst fremd in der neuen Umgebung und hatten wenig Neigung, festere Bindungen einzugehen. Meist waren beide Ehepartner berufstätig und die Frauen deshalb doppelt belastet. Auch die Schichtarbeit zeigte ihre negativen Auswirkungen.
In den Anfangsjahren gehörten die Besuche bei neu zugezogenen Gemeindegliedern zu den wichtigsten Aufgaben. Ein gewisses Maß an Vorsicht schien dabei geboten. Die Leute könnten ja Schwierigkeiten bekommen, wenn jemand von der Kirche sie aufsucht. Im Treppenhaus war mit den neugierigen Blicken der Nachbarn zu rechnen. Unter den Besuchten gab es manche, die den Lauscher hinter der Wand fürchteten. Trotz allem war immer wieder erstaunlich, wie viel Vertrauen den Mitarbeitern der Kirche entgegengebracht wurde. Viele Sorgen und Probleme, auch die Ungereimtheiten der gesellschaftlichen Entwicklung kamen bei den Besuchen offen zur Sprache.
Aus der Besucherarbeitet sind dann Hauskreise herausgewachsen. Einige Familien erklärten sich damit einverstanden, dass andere in ihre Wohnungen eingeladen wurden. Diese Bereitschaft, Unbekannten die Tür zu öffnen, war nicht selbstverständlich. Die Hauskreisarbeit geschah sozusagen am Rande der Legalität. Denn aus gutem Grund wurden diese Abende, die ja in "Privaträumen" stattfanden, nicht polizeilich angemeldet. Es gab böse Beispiele dafür, wie schnell aus der Anmeldepflicht eine Genehmigungspflicht werden konnte. So verstanden sich die Hauskreise als Freundeskreise und halfen ein wenig mit, die allgemeine Kontaktarmut zu überwinden. Ziel dieser Arbeit war nicht, die Beteiligten in die Kirche "zurückzuholen". Vielmehr sollte offen über Lebens- und Glaubenfragen gesprochen werden, über alles, war Menschen in unserer Zeit bewegt.
Die Entchristlichung der Gesellschaft war inzwischen weit vorangeschritten. Besonders krass trat die Entwicklung in den Neustädten zutage. Die atheistische Erziehung in den Schulen hatte Früchte getragen. Auch christliche Eltern waren ängstlich und unentschlossen, wenn es um die Teilnahme ihrer Kinder an der Christenlehre ging, und später dann erst recht, wenn die Anmeldung zur Jugendweihe fällig war. Viele Eltern sprachen von einem "Zwiespalt", vor dem sie ihre Kinder bewahren wollten. Aber auch manche Kinder waren einfach nicht zur Teilnahme am kirchlichen Unterricht zu bewegen, obwohl ihre Eltern es wünschten. Besonders dann war das der Fall, wenn sich in der Klasse keine Gleichgesinnten fanden, oder wenn sie vor ihren Mitschülern bloßgestellt und ausgelacht wurden. Trotz allem konnte Christenlehre und Konfirmandenunterricht kontinuierlich durchgeführt werden. Die Teilnehmerzahlen blieben allerdings unverhältnismäßig gering, wenn man bedenkt, dass Hoyerswerda zu dieser Zeit kinderreichste Stadt der DDR war.
So nahm die Unkenntnis des christlichen Glaubens ständig zu.
Die kleine Gemeinde der Neustadt sah sich einer immer wachsenden Zahl von Menschen gegenüber, die nichts mehr wusste über Jesus, über die Geschichten der Bibel und über die Kirche, die aber vielleicht im stillen doch etwas von den Christen erwarteten. Ein Holzschnitt von Herbert Seidel erfasst diese Situation sehr eindringlich. Das Bild zeigt ein unscheinbaren nacktes Männlein zwischen mächtigen Baugerüsten und Hochhäusern und trägt den Titel "Prediger in der Wüste".
Unter diesen Umständen konnte es nicht darum gehen, die Menschen religiös anzusprechen oder ihnen kirchliche Lehren nahe zu bringen. Vielmehr galt es zu entdecken, dass Gott heute in der Welt wirkt, und dass es für ihn keine weißen Flecken auf den Landkarte gibt, und dass die Gemeinde an seiner Wirksamkeit teilnimmt. Ausgangspunkt für alle Bemühungen der Gemeinde sollte dabei Jesus sein, der "Mensch für andere", und seine Botschaft, die auch für Menschen in einer sozialistischen Gesellschaftsordnung lebensnotwendig ist.
Dies bildete den eigentliche Hintergrund für die Formel "Kirche im Sozialismus". Nicht ein Bekenntnis zum Materialismus konnte damit gemeint sein, sondern das Eintreten der Christen für soziale Anliegen und für eine gerechte Welt.
Leider fanden die Vertreter der Kirchen kein Gehör, wenn sie zu gesellschaftlichen Problemen Stellung nehmen wollten. Entsprechende Äußerungen in der Öffentlichkeit waren unerwünscht und wurden immer wieder verhindert. Entsprechend wurde auf höherer Ebene verfahren. Wie überall wurden hier lediglich Anpassung und Zustimmung erwartet. Kritische Mitarbeit vom christlichen Standpunkt her war nicht gefragt, denn die herrschende Weltanschauung sollte alle Bereiche durchdringen und auf allen Gebieten durchgesetzt werden. So hatten engagierte Christen in den wichtigsten Fragen kein Mitspracherecht. Elternbeiräte und Jugendfürsorge blieben ihnen ebenso verschlossen wie alle Gremien, in denen die Entscheidungen über Wohl und Wehe der Stadt getroffen wurden.
Der ständige Zuzug von Menschen aus allen Teilen der DDR ließ auch die Zahl der evangelischen Gemeindeglieder rasch anwachsen. Entgegen aller Prognosen über das allmähliche Absterben der Religion kamen immer wieder neue Leute dazu. Darunter waren vor allem viele junge Familien, auch solche, die vorher wenig Verbindung zur Kirche gehabt hatten. Zu Beginn des Jahres 1966 wurde deshalb eine Evangelische Kirchengemeinde Hoyerswerda-Neustadt gegründet. Es war eine Gemeinde, die noch über keine eigenen Räume verfügte. Ein Teil des Gemeindelebens spielte sich in Wohnungen ab. Kinder der unteren Klassen wurden mit dem Auto zur Christenlehre in die Altstadt gebracht. Das gleiche galt für Alte und Gehbehinderte, die an kirchlichen Veranstaltungen teilnehmen wollten. Im Lutherhaus begann die Neustadt-Gemeinde, monatlich eigene Gottesdienste zu feiern.
Da bot sich eine echte Chance, Räume für die Gemeinde zu gewinnen. Seit der Einrichtung des Waldfriedhofes wurde nämlich die alte Friedhofskapelle an der Bautzener Straße nicht mehr genutzt. Das Gebäude machte zwar einen verwahrlosten Eindruck, aber Sanierung oder Umbau schienen zu lohnen. Allerdings befand sich die Kapelle in städtischem Besitz, was die Verhandlungen schwierig gestaltete. Schließlich fand sich ein Weg, das Gebäude der Gemeinde zur Nutzung zu überlassen. Für den beabsichtigten Umbau stand jedoch keine "Baukapazität" zur Verfügung. Er musste in "Eigenleistung" erfolgen. Dem Nutzungsvertrag hatte die Görlitzer Kirchenleitung nur unter großen Bedenken zugestimmt, da die Laufzeit auf 20 Jahre begrenzt wurde und die Gemeinde keinerlei Sicherheiten für ihre Investition erhielt.
Voller Vertrauen in die Zukunft wurde nun der Umbau in Angriff genommen. Unter Anleitung eines erfahrenen Bauingenieurs und mit Unterstützung des Kirchlichen Bauamts beteiligten sich viele an den freiwilligen Einsätzen. Etwa 30 Gemeindeglieder waren in besonderem Maß engagiert. Sie opferten viel Freizeit und leisteten anstrengende körperliche Arbeit. Bei vielen Bewohnern der Neustadt erregte der Bau Aufmerksamkeit. Dass hier weder eine Schwimmhalle noch eine Nationalitäten-Gaststätte entstehen sollte, sondern eine Kirche, ließ sie ungläubig staunen.
Nach einer Bauzeit von 18 Monaten hatte sich die ehemalige Kapelle in ein kleines, aber schmuckes Gemeindehaus verwandelt. Dankbar konnte die Gemeinde im September 1968 die Einweihung feiern. Wegen der akuten Raumnot war der Christenlehre-Raum schon vorher in Benutzung genommen worden, und auch
Gottesdienste hatten bereits während des Umbaues dort stattgefunden. Die Finanzierung des Vorhabens geschah zum großen Teil durch Spenden, die das Gustav-Adolf-Werk überall in den Gemeinden gesammelt hatte. Aber auch die Christen der Neustadt hatten selbstverständlich und gern ihren finanziellen Beitrag geleistet. Am Ende wurde der Umbau der Kapelle zum Gemeindehaus sogar als allgemeine Aufbauleistung anerkannt. Die freiwilligen Helfer der Gemeinde erhielten eine "Aufbaunadel". Gleichzeitig konnte der Gemeindepfarrer eine kommunale Wohnung in der Neustadt beziehen.
Im darauffolgenden Jahr erhielt das Gemeindehaus den Namen des amerikanischen Pastors und Bürgerrechtlers Martin Luther King. Sein unerschütterlicher Glaube, sein Wirken für eine gerechte Gesellschaft, sein Lebenseinsatz für andere Menschen sollte der Gemeinde Anstöße vermitteln.
Seit der Gründung der Neustadt waren inzwischen zehn Jahre vergangen. Der Prozess der Gemeindebildung konnte als abgeschlossen gelten. Nach allen Schwierigkeiten und Behinderungen des Anfangs verfügte die Gemeinde jetzt über entsprechende Räume und war in der Neustadt präsent. Die "kleine Kirche" am Rande der Wohngebiete war nicht zu übersehen. Auch die staatlichen Stellen begannen, sich auf die neue Situation einzustellen, und zeigten mehr Verständnis als bisher für die Anliegen der Gemeinde.
Im Martin-Luther-King-Haus entwickelte sich bald ein reges Gemeindeleben. Gottesdienste und Gemeindeabende waren gut besucht. Endlich konnten auch Kinder- und Jugendgruppen regelmäßig zusammenkommen. Aus engagierten Gemeindegliedern bildete sich ein Mitarbeiterkreis, der die "Hauptamtlichen" bei verschiedenen Aufgaben unterstütze. Eine Elterngruppe beispielsweise übernahm nach entsprechender Vorbereitung einen Teil des Christenlehre-Unterrichts.
Allerdings stellte sich bald heraus, dass das Leben im Gemeindehaus beobachtet und kontrolliert wurde. Namentlich nach Gemeindefesten und Schriftstellerlesungen wurde dies offenkundig. Der offiziellen Kirchenpolitik entsprechend sollte die Tätigkeit der Gemeinden auf das Religiös-Kultische beschränkt werden. In Konfliktfällen zeigten sich aber einige Vertreter der örtlichen Staatsmacht gesprächsbereit und einsichtig. So konnte die Gemeinde einigen Freiraum für ihre Arbeit gewinnen.
Von Anfang an gab es intensive Kontakte zu anderen Neustadtgemeinden der DDR. Dabei kamen viele Probleme der Neustädte und ihrer Bewohner zur Sprache. Erfahrungen wurden ausgetauscht und gemeinsame Wege gesucht. Auch aus Kirchen anderer Länder kamen Besucher, die viel wissen wollten über christliche Existenz in einer Gesellschaft, die sich "sozialistisch" nannte. Die Gemeinden hatten aber auch schon von sich aus Beziehungen nach außerhalb gesucht. Es kam zu Begegnungen mit ungarischen und tschechischen Christen. Die beiden Partnergemeinden in der Bundesrepublik leisteten in vielen Fällen konkrete Hilfe. Sie bemühten sich, die ganz andere Gemeindesituation in einer Neubausiedlung der DDR zu verstehen. Als besonders hilfreich für ein besseres gegenseitiges Verständnis erwiesen sich Familienfreizeiten in Ungarn und Polen. Allen Abgrenzungen zum Trotz fanden sich Ost- und Westdeutsche als Freunde zusammen, führten intensive Gespräche und tauschten aktuelle Literatur aus. Immer wieder ging es um das Zeugnis der Christen in den unterschiedlichen Gesellschaftssystemen und um ihr Wirken im Blick auf die Zukunft unserer Welt.
Die Zukunft des Martin-Luther-King-Hauses blieb gleichfalls offen. Das Gebäude war weiterhin Eigentum der Stadt und der Gemeinde nur auf Zeit überlassen. Bald auch erwies sich das Haus als zu klein für die wachsende Gemeinde. Da bot sich eine gute Möglichkeit im Rahmen des Sonderbauprogramms "Kirchen für neue Städte".
Die Gemeinde sollte ein eigenes, modernes Gemeindezentrum erhalten, und zwar aus Spendenmitteln der Evangelischen Kirche der Bundesrepublik. Ein Kirchenneubau an einem anderen Standort wurde zwar erwogen, aber bald aufgegeben. Bereits im Frühjahr 1979 fiel die Entscheidung für die Erweiterung des King-Hauses. Die Architekten hatten die schwierige Aufgabe, den vorhandenen Baukörper mit den neu zu errichtenden Teil zu verbinden.
Es folgten Jahre der Planung, der Verhandlungen und der Ungewissheit, die durchgestanden werden mussten. 1987 endlich konnte der Bau beginnen. Dankbar nahm die Gemeinde währenddessen für die Gottesdienste die Gastfreundschaft der Katholischen Kirche in Anspruch. Am 8. Oktober 1989 wurde das neue Haus "unter starker Beteiligung der Gemeinde und in Anwesenheit vieler Gäste aus dem kirchlichen und gesellschaftlichen Leben" eingeweiht.
Ein wichtiges Kapitel Gemeindegeschichte war damit abgeschlossen. Es spielte sich unter "sozialistischen" Verhältnissen ab und umfasste einen Zeitraum von drei Jahrzehnten, von den ersten Begegnungen in Neustadt-Wohnungen bis zum Einzug in das eigene Gemeindezentrum. Nach dem gesellschaftlichen Umbruch in unserem Land wird ein neues Kapitel aufgeschlagen. Die Bedingungen haben sich grundlegend gewandelt. Die Gemeinde hat alle Möglichkeiten für ihre Arbeit erhalten. Aber sie sieht sich ganz neuen Problemen und Aufgaben gegenüber, die ihren Einsatz herausfordern.
Einweihung am 8.Oktober 1989
(Kirchenbaurat Swoboda & der Posaunenchor)
(aus "Hoyerswerda, Geschichte und Geschichten aus Dörfern und Städten". Geiger-Verlag, Horb am Neckar’92)